
Eine Kämpferin im Fokus
Am Ende zahlt sich alles aus
Auch wenn das olympische Gold von Paris ein Wunschtraum blieb - Judoka Anna-Maria Wagner bilanziert in Köln ihre große Karriere.
EIN RÜCKBLICK VON CHRISTOPH FISCHER
KÖLN. Als die Bilder auf der großen Leinwand ihre Kraft entfalten, kommen Anna-Maria Wagner die Tränen. Zwölf Monate ist es her, als sie vor der öffentlichen Verkündung in Paris aus ihrer Trainingsgruppe erfuhr, dass sie bei den Olympischen Spielen 2024 mit Basketball-Star Dennis Schröder die deutsche Fahne tragen darf. „Das war ein überwältigender Moment, den ich niemals in meinem Leben vergessen werde“, sagt Anna-Maria Wagner im Deutschen Sport & Olympia Museum in Köln. Und dann sind die Tränen nicht mehr aufzuhalten. Warum auch?
Am Tag, als ein Fußballer namens Nick Woltemade für 90 Millionen Euro vom VfB Stuttgart in die englische Premier League zu Newcastle United transferiert wird, ist es schön, Olympia in Paris nachzuspüren, die Wettbewerbe wieder vor Augen zu haben. Dieses großartige, gigantische Olympia, das so viel mehr ist als das Milliardengeschäft Profifußball. Judoka Anna-Maria Wagner aus Weingarten, 29 Jahre alt, hat ihre internationale Karriere beendet, noch ein Auftritt in der Judo-Bundesliga mit der TSG Backnang, dann ist das Kapitel geschlossen. Damals im Trainingslager in Japan, hat sie nach einem alten Ritual in einem Tempel zweimal in die Hände geklatscht und ihren innigsten Wunsch formuliert: „Ich werde die beste Judoka der Welt.“ Kein eben bescheidenes Ziel, aber ein verständlicher Wunsch für eine Weltmeisterin auf dem Weg zu ihrem zweiten Olympia. Alles hat sie diesem Ziel untergeordnet: „Wenn man nicht alles riskiert, alles investiert, dann kann man nicht alles gewinnen.“

Ihren Weg nach Paris, „meine Achterbahnfahrt“, ein Weg mit allen Höhen und Tiefen, hat ihre Freundin Lorraine Hoffmann in einem Bildband aufgezeichnet. Über 700 Bilder hat die Fotografin ausgewählt, zwei Jahre auf Schritt und Tritt mit Wagner, alle Bilder sollten ins Buch, aber das ging natürlich nicht. Am Ende sind es 300. Und 21 präsentieren die beiden in Köln, Anke Feller, selbst Ex-Weltmeisterin und Fernseh-Journalistin, moderiert. Da gibt es ein Bild, Anna-Maria Wagner im Gegenlicht im Trainingslager in Valencia, es wird das Cover-Bild des Buches, weil es alles zeigt, was Hochleistungssport ist, eine Berg- und Talfahrt, und was ein Mensch investieren muss, wenn er ganz nach oben will.
„Wir haben uns gefragt, was wird, wenn es nicht klappen sollte“, sagt Lorraine. „Aber wir haben nie das Ziel formuliert.“ Sie haben es nie ausgesprochen, dass es in Paris nur um Gold ging. Zweimal Bronze hatte sie schon gewonnen bei Olympia 2020 in Tokio, als sie 2024 zum zweiten Mal Weltmeisterin wird, war der Weg nach Paris endlich offen. Wie eine Erlösung war der zweite Titel im Halbschwergewicht. Und dann kamen wieder Verletzungen. Anna-Maria Wagner, sie trägt den 5. Dan, erlebt das alles erneut, wenn sie die Bilder kommentiert. In der Champions Hall des Museums sitzen junge Judoka, fasziniert von Anna-Maria Wagner, sie hängen an ihren Lippen. Anna-Maria ist ihre Identifikationsfigur, jede und jeder will werden wie sie. Kein Gedanke an millionenschwere Fußballprofis. „Am Ende zahlt sich alles aus“ ist der Titel des Buches.

Und da gibt es keine Zweifel bei Anna-Maria Wagner. Sie startete furios in das olympische Turnier, verletzte sich im zweiten Kampf, aufgeben war nie ein Gedanke, aber sie konnte das Halbfinale nicht gewinnen. Und scheitert am Ende auch im Kampf um Bronze. 20 Jahre Blut, Schweiß und Tränen für das große Ziel, das ihr am Ende versagt blieb. Das zu verarbeiten, fällt ihr noch heute schwer, aber sie hat es geschafft, sie, für die vor allem die mentale Vorbereitung auf ihre Kämpfe immer im Mittelpunkt stand, die Arbeit mit ihrem Team und Bundestrainer Claudiu Pusa, der in Köln zugibt: „Ich habe großes Verständnis, dass sie ihre große Karriere beendet, aber ich bin auch unsagbar traurig.“
Als es nichts wurde mit dem Gold, drohte das große Loch, die Depression. Aber sie fand wieder die Kraft, sich zu befreien, aber merkte in den Wochen nach Paris doch, dass das ganz große Feuer auf der Matte nicht mehr da war. „Ich habe gemerkt, dass ich nicht mehr brenne auf der Matte, dem Sport nicht mehr bedingungslos alles unterordne.“ Und entschied sich für das Ende der großen Karriere. Als eine der Vorzeigefiguren des Deutschen Judo-Bundes. Als Vermächtnis einer großen Laufbahn bleiben 350 Seiten eines Bildbandes, der ihren Weg von 2022 nach 2024 nachzeichnet, die Triumphe der Anna-Maria Wagner - und ihre Tragödien. Eine eindrucksvolle Laufbahn auf höchstem Niveau, der am Ende aber olympisches Gold versagt blieb. Und sich trotzdem alles Investierte auszahlt, sagt sie: „Es gab nie Zweifel an dem Titel des Buches.“

Fotos: Wagner/Hoffmann
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